Viel Wissen zur Übertragung von Infektionskrankheiten durch
Aerosole stammt aus einem eher finsteren Kapitel der Infektiologie - der Forschung zur Notfallvorsorge und Gefahrenabwehr von biologischer Kriegsführung und Bioterrorismus (biodefense). In diesem Fachgebiet unterscheidet man Infektionskrankheiten, die natürlich über die Luft übertragbar sind (aerogene,
Inhalations-Infektionen,
airborne) und solche, die für diesen Übertragungsweg, künstlich vom Menschen erzeugter
Aerosole bedürfen.
Dass ein Krankheitserreger oder biologischer Wirkstoff zur
Inhalation durch den Menschen geeignet ist, macht ihn nämlich erst zur Biowaffe (bioweapon). Bezeichnenderweise heißt im Fachjargon der Vorgang auch
weaponization: Viren oder Bakterien, die sonst nur schwer oder gar nicht durch die Luft übertragen werden können, werden künstlich leichter einatembar gemacht.
Unter den Erregern, die in das typische
biothreat-Spektrum fallen, werden nur die (echten) Pocken (Variola virus) und die Lungenpest (Yersinia pestis) als natürlicherweise
airborne im engeren Sinne gesehen. Diese Einteilung ist jedoch fließend und wird, v.a. in Bezug auf die praktischen Gegenmaßnahmen, ständig angepasst.
An sich ist die Venezolanische Pferdeenzephalomyelitis (Venezuelan Equine Encephalitis, VEE) genau das Gegenteil einer durch die Luft übertragbaren Krankheit. Sie ist eine klassische
Vektor-Zoonose – also eine von Tierwirten (pferdeartige und Nagetiere) auf Menschen mittels eines Zwischenwirtes (Stechmücke) übertragene Infektionskrankheit. Der einzige natürliche Übertragungsweg dieser oft schweren bis tödlichen Erkrankung benötigt zwingend die Anwesenheit einer geeigneten Moskito-Spezies [1]. Das Virus muß sich im Darm der blutsaugenden Insekten vermehren, bevor es dann durch Stich auf das nächste Säugetier inklusive Mensch übertragen werden kann.
Nichtsdestotrotz forschten die gegnerischen Parteien im Kalten Krieg, als sie noch aktive Programme zur biologischen Kriegsführung (biowarfare) betrieben, ausgiebig an der Venezolanischen Pferdeenzephalomyelitis und anderen natürlicherweise nicht-kontagiösen Agentien. Denn die Viruspartikel der VEE konnten leicht in trockener oder flüssiger Form
aerosolisiert werden [2].
Die traditionelle strikte Unterscheidung in
aerogene (airborne, Teilchen ≤ 5 μm) und
Tröpfchen-(droplet, Teilchen > 5 μm) Infektionen ist ohnehin eher von theoretischer und didaktischer Bedeutung. Das modernere Konzept der
Aerosol-Übertragung (Transmission) liefert nicht nur eine physikalisch angemessenere Erklärung, sondern ermöglicht auch eine bessere Auswahl effektiver Maßnahmen gegen Infektionskrankheiten [3].
Ein infektiöses
Aerosol ist definiert als
Kollektion erregerhaltiger Teilchen in der Luft – statt einer künstlichen Einteilung in zwei diskrete Größenklassen. Denn natürliche auftretende
Aerosole weisen – im Gegensatz zu künstlich für Forschungszwecke generierten (s. unten) – eine ganze Bandbreite von verschiedenen Durchmessergrößen auf. Eine dafür empfängliche Person kann sehr kleine dieser
Aerosol-Partikel bis tief in die
unteren Atemwege (Luftröhre, Bronchien, Lungenbläschen) einatmen. Die Teilchen eines
Aerosols können sich aber auch direkt auf die Schleimhäute von Augen, Mund oder
oberen Atemwegen ablagern. Oder sie gelangen indirekt durch
Schmierinfektion in diese
Eintrittspforten, z. B. wenn man sich mit
aerosolkontaminierten Händen die Augen reibt.
Eine
Aerosol-Transmission ist biologisch möglich, wenn folgende drei Bedingungen erfüllt sind [3]:
1) Eine infektiöse Person erzeugt aktiv (z. B. Husten, Niesen) oder passiv (z. B. wenn sie zur künstlichen Beatmung intubiert werden muß) infektiöse Teilchen.
2) Das
Pathogen (der Erreger) bleibt eine gewisse Zeit lang in seiner Umwelt ansteckend (“überlebt” also, trotz ungünstiger Temperatur, Luftfeuchte, UV-Strahlung ein paar Sekunden, Minuten, Stunden).
3) Die Orte des Zielgewebes (z.B. Nasenschleimhaut), in welchem der Erreger üblicherweise die Infektion startet, sind für das
Aerosol auch zugänglich (z. B. bei nur über dem Mund, aber nicht der Nase getragener Atemschutzmaske).
Aerosol-Partikel, die eine sehr geringe Größe von 1 bis 2 μm (1/1000 mm) Durchmesser haben, können die tiefen Regionen der Lunge der meisten Säugetierarten, nämlich die Lungenbläschen (Alveolen), erreichen – und zwar nach Ablagerung kleinster Mengen in den
oberen Atemwegen (Nase, Mund, Rachen). Wissenschaftler erforschen die
Aerobiolgie von biodefense-Agentien standardmäßig mit einem sog.
Collison Vernebler [4]. Dieser
Aerosol-Generator kann einheitliche Teilchen dieser kleinen Größe (1-2 μm) erzeugen. In diesem Fall, bei dem sich nahezu alle
Partikel in einer Größenklasse befinden, spricht man von einer fast
monodispersen
Partikelverteilung.
Aus Versuchen an Tiermodellen zur
Aerosol-Übertragung, weiß man, dass für die meisten Erreger gilt: Bei Ablagerung der Partikel in den
unteren Atemwegen, war nur eine geringe
Dosis dafür nötig, dass die Versuchstiere erkrankten oder sogar starben [4]. Die Verwendung größerer
Aerosol-Teilchen, die sich dementsprechend nur in den
oberen Atemwegen absetzen konnten, veränderte den Krankheitsverlauf hin zu milderen Formen, die dann auch viel besser auf Behandlungen ansprachen.
Einige, allerdings kontroverse Studien, postulierten, dass manche
enzephalitische (Hirnentzündung auslösende) Viren, eine Ausnahme von obiger “Regel” darstellen: Die Ablagerung dieser
Pathogene in den
oberen Atemwegen könne sogar gefährlicher sein, da eine Infektion der
olfaktorischen
Region (die Riechschleimhaut oberhalb der oberen Nasenmuschel) leichter zu einer Infektion des Gehirns führen solle [5], [6], [7].
Referenzen
[1] Weaver SC, Ferro C, Barrera R, Boshell J, Navarro JC. Venezuelan equine encephalitis. Annu Rev Entomol. 2004;49:141-74. Review. PubMed PMID: 14651460.
[2] Bronze MS, Huycke MM, Machado LJ, Voskuhl GW, Greenfield RA. 2002. Viral agents as biological weapons and agents of bioterrorism. Am J Med Sci 323:316–325.
[3] Jones RM, Brosseau LM. Aerosol transmission of infectious disease. J Occup Environ Med. 2015 May; 57(5): 501-8. doi: 10.1097/JOM.0000000000000448. Review. PubMed PMID: 25816216.
[4] Reed DS, Nalca A, Roy CJ. Aerobiology: History, Development, and Programs. pp. 855-868. In: Medical Aspects of Biological Warfare. Textbooks of military medicine. Eds.: Bozue J, Cote CK, Glass PJ. Fort Sam Houston, Texas : Office of the Surgeon General, Borden Institute, US Army Medical Department Center and School, Health, Readiness Center of Excellence. 2018. LCCN 2017057681. ISBN 9780160941597.
[5] Danes L, Rychterova V, Kufner J, Hruskova J. The role of the olfactory route on infection of the
respiratory tract with Venezuelan equine encephalomyelitis virus in normal and operated Macaca
rhesus monkeys. II. Results of histological examination. Acta Virol. 1973;17(1):57–60.
[6] Danes L, Kufner J, Hruskova J, Rychterova V. The role of the olfactory route on infection of the
respiratory tract with Venezuelan equine encephalomyelitis virus in normal and operated Macaca
rhesus monkeys. I. Results of virological examination. Acta Virol. 1973;17(1):50–56.
[7] Steele KE, Davis KJ, Stephan K, Kell W, Vogel P, Hart MK. Comparative neurovirulence and tissue tropism of wild- type and attenuated strains of Venezuelan equine encephalitis virus administered by aerosol in C3H/HeN and BALB/c mice. Vet Pathol. 1998;35(5):386–397.
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